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45 www.architektur-online.com Bruno Gaudin Das „Richelieu Quadrat“, die historische Keimzelle der französischen Nationalbibliothek (BnF) in Paris (siehe Kasten) beherbergt heute vor allem die Spezialsammlungen der BnF, also Gravuren und Fotografien („Estampes et photographies“), Münzen, Medaillen und Antiquitäten, die Kartenabteilung, die Abteilung für Musik- und Schaukünste sowie die Handschriften und Archivaliensammlung. Seit 1933 ist sie auch Sitz der Bibliothek des Institut National d’Histoire de l’Art, (INHA) und seit der Vollendung der ersten Phase der Renovierungsarbeiten logiert hier auch die Bibliothèque de l‘École des Chartes. Also sind drei öffentlichkeitswirksame Institutionen in demselben historischen Objekt untergebracht. Zusammen stellen sie eine einzigartige Konzentration von Kunst und Geschichte im Herzen von Paris dar. Um 2000 stellte man bei einer der üblichen Zustandskontrollen des Hauses größere Mängel fest. Diese betrafen nicht nur die Bausubstanz, sondern auch die Aufenthaltsqualität, Zugangsmöglichkeiten, Arbeitsbereiche und Archive – mit einem Wort: Die Architektur entsprach nicht mehr den (auch baurechtlichen) Anforderungen der Zeit. Es war auch nicht mehr weiter möglich, stückweise Erneuerungen zu bewerkstelligen, so wie es seit 1950 gemacht worden war. Man fasste den Entschluss, das Architekturbüro Bruno Gaudin mit der Gesamtleitung einer grundlegenden Renovierung zu betreuen. 2007 begann dann das Büro, das gesamte Quadrat genauestens zu untersuchen und aufzuzeichnen. Obwohl die visuelle Wahrnehmbarkeit klare Formen (riesige Lesesäle, Höfe und Gärten) ergab, war durch die schrittweisen, seit dem 17. Jahrhundert stattgefundenen, endlosen Erweiterungen, Abrisse, Verdichtungen und Ergänzungen ein eher unüberschaubarer Komplex entstanden. Unter der einheitlichen Steinfassade waren jede Menge „Gebäude“, die erneuert, modernisiert, teilweise auch abgerissen werden mussten, verborgen. Manche von ihnen beherbergten bis zu 14 Ebenen. Beim „Richelieu Quadrat“ in Paris waren zwar nicht alle Teile unter Denkmalschutz, aber die Vermischung der verschiedensten Epochen und Stile, die unterschiedlichsten Arbeiten und Erweiterungen der Architekten der vergangenen Jahrhunderte waren eine große Herausforderung für den Generalplaner Bruno Gaudin und es gibt wohl kaum eine schwierigere Aufgabe für Planer und Architekten, als sich mit denkmalgeschützter Substanz zu befassen, also in der Vergangenheit, der Gegenwart und für die Zukunft zu bauen. In Paris verlangte die zeitlich lange Folge von Geschichte, Architekten und Stilen es, eine Vorgangsweise zu finden, die so nahe wie möglich an der Originalsubstanz lag, aber doch auch ein zeitge- mäßes, funktionales Programm mit sich brachte. 2011 startete dann, nach vier Jahre dauernden Studien, die Umsetzung in zwei Phasen. Zwei Phasen deshalb, um den Betrieb für die Öffentlichkeit und den Zugang von der Rue Vivienne aus weiter zu ermöglichen. Die erste Phase nahm fünf Jahre bis 2016 in Anspruch. Geschichtete Zeit Um dieses Projekt überhaupt in Angriff nehmen zu können, musste das Büro zuerst einmal die spezifischen Merkmale des Ensembles verstehen, klassifizieren und interpretieren. Man musste es quasi in seine Einzelteile zerlegen, um es dann – unter Betonung seiner inneren Qualitäten – wieder zusammenzusetzen. Die sowohl historischen wie auch strukturellen Analysen brachten eine überraschende Gegenüberstellung von Räumen aller Art zutage: von Archiven über Galerien und Wendeltreppen zu Rotunden und Ähnlichem. Einige der Bereiche, wie der „Salle Labrouste“ von Jean-Louis Pascal waren denkmalgeschützt, andere Teile wiederum waren nur inventarisiert. Die Überprüfung enthüllte nur ungenügende Datenmengen, um den Reichtum und die Komplexität der Anlage völlig zu erhellen. Sie brachte aber Gewissheit, dass viele verschiedene Bereiche wieder zu ihrem originalen Glanz und Reichtum gebracht werden mussten. Es ist der Hartnäckigkeit der Architekten zu verdanken, dass diese teils bescheidenen aber heute großartigen Zeugnisse der vielschichtigen Struktur des Quadrats wieder zum Vorschein kamen. Die Herausforderung des polymorphen Gebäudes war, nicht einen, sondern gleich mehrere differente Prozesse gleichzeitig zum Laufen zu bringen: Es ging um den großen Maßstab des Ortes, die Besucherströme und deren Verteilung und um die Renovierung individueller Räume samt deren Funktionen und speziellen Notwendigkeiten. Gleichzeitig musste der Normalbetrieb im Gebäudekomplex weiterlaufen.


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