8 architektur FACHMAGAZIN Start Aber die Spuren (auf der Suche nach den Anderen) und Verbindungen zwischen den einzelnen Punkten bilden auch einen Raum. Gormley arbeitet da in Anlehnung an den ‚hodologischen Raum‘ (nach Otto Friedrich Bollnow). Das Verhältnis zwischen Einzelfigur und Serie, zwischen Architektur und Naturraum und zwischen den Faktoren Bewegung und Zeit - bestimmen seine Arbeiten. Damit geht auch immer der kühne Versuch einher, Kunst und Natur in einen Zustand der Empathie zu überführen. Die ‚traces in space‘ hält er für wesentlich, nicht nur für eine Interpretation, sondern für evident, forensisch bewiesen, für einen Moment der gelebten Zeit des menschlichen Individuums. Auf die Frage, ob das nicht den endgültigen Abschied unseres westlichen Denkens über die Welt, eines Denkens, das sich ja nur auf Effizienz und Maximierung beschränkt, antwortete er: „Ich denke, die Effizienz des Pragmatismus, der sich nur auf sich selbst bezieht, ist wahrscheinlich nur attraktiv für den Kapitalismus. Das ist ein ethisches Problem.“ Gormley gibt mit seinen landschaftsbezogenen Arbeiten auch den radikalen Ansätzen der Landart der 60er und 70er Jahre eine neue Dimension, eine Weiterentwicklung und befreit sie von der Sockelkunst der musealen Darstellung, die ja nur in, von ästhetischen Gesetzen determinierten Räumen der Museen und Galerien stattfindet: Er stellt sie in den öffentlichen Raum der Stadt oder in die Natur, er macht sie zugänglich für alle: „Kunst alleine ist nichts, Kunst muss geteilt werden!“ Ganz unkritisch sind seine Arbeiten natürlich nicht, allerdings ist die Ebene der Kritik nicht leicht zugänglich. Sie ist von den offensichtlichen Dingen, von der einfachen Weltsicht distanziert aber dafür umso treffender. Ein Hinweis auf die immer schneller zur Neige gehenden Ressourcen der Erde ist da nicht zu übersehen. Auch dass manche Figuren in Natur oder urbanem Raum kleine ‚frankensteinsche Dübel‘ oder Eingussöffnungen aufweisen, lässt auf eine kritische Wahrnehmung der menschlichen Konditionierung mit Blick auf seine angestrebte Optimierung schließen. Viele seiner Projekte sind auch im eher architektonischen Innenraum angesiedelt und versuchen eine neue Wahrnehmung des Raumes beim Rezipienten zu erreichen. Dieser Aspekt wurde im Gespräch durch den Philosophen Wallenstein mit den Thesen von August Schmarsow (1853 bis 1936, deutscher Kunsthistoriker) ergänzt. Dieser sah einen viel weiter gefassten Begriff des Raumes und der Körperhaftigkeit. An die Stelle des persönlichen Selbstgefühls und Raumgefühls tritt bei ihm „das Gefühl der Verwandtschaft mit dem All ... und öffnet das endlose Reich der schweifenden Bewegung, ... bis an die Grenzen des Horizontes, wie nur der Blick unsrer Augen uns tragen will.“ architektur stellte im Anschluss einige Fragen zur Architektur, Raum und Skulptur. Herr Gormley, wenn Sie von der Ausdehnung (extension) des menschlichen Körpers im Raum, in der Architektur sprechen – denken Sie da auch an Kirchenräume? Absolut, ja! Man kann nicht an gotische Architektur denken, ohne sie als Einladung zum Verstehen ihres Potenzials zu betrachten. Warum muss in den meisten Fällen die Kunst und die Skulptur auf die Architektur reagieren und nicht umgekehrt? Architektur ist immer in Verbindung mit Macht. Es passiert dann eben, dass die Architektur ein Unterhändler, Handlanger der Macht wird. Die Durchführung, die Pragmatik versus das Bauen einer Ikone sind die zwei Spannungsfelder der Architektur. Das Resultat ist, dass das ganze räumliche Potenzial der Architektur verloren geht. Worin sehen Sie als Künstler das Problem unserer Zeit? Der größte Fehler war die industrielle Revolution. Das Unglück der menschlichen Population ist die Überproduktion, die Erfindung der Getreidespeicher und der Armeen. Der Verlust des nachhaltigen Lebens. HORIZON FIELD, 2010 Foto: Markus Tretter, © Antony Gormley PASSAGE, 1993 © Antony Gormley LEARNING TO SEE IV, 1993 © Antony Gormley
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