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architektur Fachmagazin Ausgabe 08/2013

urban farming 33 sierten Konsummodell mit seinen langen Transportwegen. „Sozial und ökologisch stabil werden am Ende nur Versorgungsstrukturen mit geringerer Distanz zwischen Verbrauchern und Produzenten sein“, © PlantLab Groep BV - Holland sich zu 30 Prozent mit Obst und Gemüse versorgen könnte, wenn man auf allen Brachflächen Gartenbau betreiben würde. Nachhaltigkeitsforscher sehen im ‚Urban Gardening‘ eine erste Abkehr vom globali- Um ein Glashaus auf dem Dach einer Architektur zu installieren, sind zuerst einige wichtige Fragen zu klären. 1. Ist die Nutzlast des Daches groß genug? 100 bis 200 Kilogramm pro Quadratmeter sollte es mindestens tragen. Während das Gewächshaus selbst mit bis zu 50 kg/m2 auf das Dach drückt, muss man für die Konstruktion samt hydroponischen Kulturen und Bewässerungssystem bis zu 150 kg/m2 hinzuaddieren. 2. Flachdächer von massiven Industriegebäuden können dieser Last oft ohne zusätzliche Umbauten standhalten, innerstädtische Wohnhäuser eher nicht. In Altbauten ohne Giebel handelt es sich meist um Holzverschalungsdächer aus der Nachkriegszeit, die nur für Schneelasten ausgelegt sind. In jedem Fall muss zunächst ein Statiker die Tragfähigkeit prüfen. 3. Ein Anbau mit Pflanzenerde erhöht das Gewicht drastisch und ist zudem nicht so ertragreich wie die sehr viel leichteren hydroponischen Kulturen. 4. Auch auf Dächer mit Bitumenbahnen – vorausgesetzt, sie sind stabil und die Wärmedämmung darunter hält dem Gewichtsdruck stand – lassen sich Gewächshäuser aufsetzen. Das Gewächshaus selbst benötigt dann eine lastverteilende Fläche als Untergrund über der Dachpappe, etwa Holzroste. 5. Glas macht das Gewächshaus schwer. Ideal ist der selbstreinigende Kunststoff ETFE, der mehr Sonnenlicht als Glas durchlässt, dafür aber die Kosten vervielfacht. sagen die Experten. Der Kohl im Hochbeet, der Salat in der Hightech-Hydroponik – sie seien erste Vorboten einer Ökonomie jenseits des Globalisierungsglaubens. 13 Eine vertikale Farm für Gemüse – wenn auch ohne Fließbandverkehr durch alle Etagen – könnte schneller Wirklichkeit werden: Im niederländischen Den Bosch betreiben die Gartenbau-Experten von PlantLab bereits mehrere funktionierende „Pflanzkammern“ in einem Gebäude. Die Pflanzen werden hier nicht nur mithilfe von Aeroponik, sondern auch von Hydroponik gezogen. Heimgärtner kennen die Methode aus Blumentöpfen, die statt mit Erde mit Tonkügelchen gefüllt sind. Aber trotz aller Zukunftsvisionen - einen größeren Beitrag werden die Äcker in der Stadt leisten können. Die Lowtech-Variante des „Urban Gardening“ schließlich, verbreitet sich zunehmend. Kreativ wird alles umgenutzt, was sich irgendwie für den Gemüsegarten in der Stadt eignet – sogar leere Milchpackungen werden zu kleinen Pflanzkästen. Statt Aero- oder Hydroponik gibt es ein Hochbeet, das zur Not aus alten Paletten oder Brotkisten zusammengezimmert wird. Eine komplette Stadt als Ökosystem Das Urban Farming ist zu einer globalen Bewegung geworden, in der hippe Stadtfarmer über das Internet Pflanztipps und Düngerrezepte austauschen. Im Internetradio Basilikum Magazin erfahren sie, wie man in Oakland am besten eine Erlaubnis zur Vorgartennutzung bekommt. Auf der Website rootsimple.com streiten sie darüber, ob man in verrottenden Plastiktüten Tomaten ziehen darf. Auf urbanfarming. org erfährt man, ob Zwiebeln und Knoblauch nicht auch im Mai statt im Herbst gepflanzt werden können. Stadtfarmen, das bedeute weniger Treibstoffverbrauch, weniger CO2-Ausstoß, weniger Transportkosten, weniger Lärm, weniger Staus. Und wenn die Städte auch noch ihre Abwässer und Abfälle konsequent in die Farmen einspeisen und sie dort wieder in neues Gemüse verwandeln, verringert das zudem die Müllmenge, den Energiebedarf und die Wasserkosten. Neuartige Hochhäuser, ‚Foodscrapers‘, als bewohnbare Gewächshäuser, in denen und an denen überall Nutzpflanzen wachsen - grüne Lungen, Müllschlucker und Nahrungsspender zugleich. (rp) 12 12 13 © SYSTEMarchitects with Natalie Jeremijenko © SYSTEMarchitects with Natalie Jeremijenko


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