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Architektur Fachmagazin April, Mai 2014

magazin Die Küche als modernes Laboratorium auf sechs Quadratmetern? Wenn wir heute die Bilder von Designküchen und Großzügigkeit im Kochbereich betrachten, samt all den modernen Errungenschaften der Küchenmaschinen und elektronisch vernetzten, über Handy steuerbaren Kochgeräten, ist es vielleicht an der Zeit, an die Anfänge der ersten Einbauküchen in den Jahren zwischen den Weltkriegen zu erinnern. In den 20er und 30er Jahren waren die städtischen Wohnungen und Häuser in Frankfurt, die Ludwig Landmann vom Siedlungsdezernenten Ernst May (Neues Frankfurt) bauen ließ, mit spitzem Bleistift gerechnet. Denn es ging darum, die Mieten möglichst gering zu halten. Kleine Wohnungen, 30 die kleinsten für eine einzelne berufstätige Person auf nur 25 Quadratmetern, mit Bad, Küche und mit einem vergleichsweise großen, eigenständigen Wohnraum - das war die Lösung der damaligen Zeit. Um den Wohnraum jedoch so groß wie möglich zu bauen, gerieten die Nebenräume bei der Planung immer kleiner, bis man schließlich bei nur noch sechs Quadratmetern für Bad und Küche ankam. Eine Küche für eine Familie auf nur sechs Quadratmetern? Das war in den 1920er Jahren unmöglich zu vermieten, weil damalige Küchenmöbel einfach nicht hineinpassten. Allein ein Kohleherd oder ein Küchenbuffet hätte eine Frankfurter Küche völlig ausgefüllt. Kochen und Essen wurde beim ‚Neuen Bauen‘ nicht als soziales Gemeinschaftserlebnis, sondern als Notwendigkeit gesehen - was es bis heute für die meisten berufstätigen Stadtbewohner sein dürfte. Damals wie heute leben in keiner deutschen Stadt so viele Singles wie in Frankfurt am Main. Das Konzept der Küche als ‚modernes Laboratorium‘ und reiner Arbeitsküche nimmt vorweg, was heute im Alltag üblich ist: die kleine Zwischenmahlzeit und das schnelle Fertiggericht aus der Mikrowelle. Die Architektin Margarete Schütte-Lihotzky - sie war die erste Frau, die in Österreich ein Architekturstudium abgeschlossen hatte - stellte sich vor, dass es für berufstätige Menschen grundsätzlich eine Erleichterung bedeuten könnte, nur mit einem Koffer umzuziehen, weil die Einbaumöbel bereits in den gemieteten Wohnungen vorhanden sind. Sie beobachtete und maß die Wege der Hausfrau in der Küche, stoppte die Zeit, wog die Mengen, analysierte die Handbewegungen von linker und rechter Hand beim Spülen, Abtrocknen, Geschirr einräumen - wie in einem Labor. Aus diesen Beobachtungen heraus konnte sie eine Küchenausstattung entwickeln, die passgenau für die neuen Häuser angefertigt wurde und in den Häusern verblieb, auch wenn die Mieter wechselten. Lihotzky selbst gab dieser Erstausstattung, dieser Serienküche eine Lebenszeit von 30 bis 35 Jahren. Margarete Schütte-Lihotzky entwarf die Frankfurter Küche - die nicht für das gehobene Bürgertum, sondern die untere Mittelschicht der Arbeiter gedacht war 1926. Die Grundlage der Küche bilden die neuen Erkenntnisse durch das amerikanische Taylor-System: Typische Arbeitsabläufe wurden mit der Stoppuhr analysiert und anschließend in ihrem Ablauf optimiert. Der Grundtypus der Frankfurter Küche misst (heute unvorstellbare) 3,44m x 1,87m, es gibt keine unnötig langen Wege. Arbeitsflächen, Herd und Spülbecken und sind ergonomisch angeordnet, seltener genutzte Teile wie Bügelbrett oder zusätzliche Arbeitsflächen lassen sich wegklappen. Die Arbeitsfläche ist wegen der besseren Belichtung direkt unter dem Fenster positioniert. Die Schränke haben Schiebetüren, die geöffnet nicht in den Bewegungsraum hineinragen. Durch das Abrunden von Ecken ließ sich die Küche leicht reinigen und die Oberflächen waren als Insektenschutz blau gestrichen. Die Frankfurter Küche gilt als Vorläufer heutiger Einbauküchen, allerdings war sie durch die Kritik des Feminismus in den 70 er und 80er Jahren auch starker Kritik aufgrund der Fixierung der Frau auf die Rolle der alleinigen Küchenbenutzerin ausgesetzt. Heute sind nur noch wenige Originalexemplare (in Museen) erhalten. Eine Rekonstruktion findet man im MAK in Wien. © Gerbil © Gerbil © Christos Vittoratos


Architektur Fachmagazin April, Mai 2014
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