Licht schafft Raum! – Victoria Coeln

30. April 2012 Mehr

Victoria Coeln

Wer in letzter Zeit im Zentrum Wiens über den Stephansplatz ging, wunderte sich vielleicht über die Lichterscheinungen und bunten Flächen, die auf das ehrwürdige Gemäuer des Domes projiziert werden. In einer gewissen Art wirken sie selbstverständlich, wie dazugehörig, sie verschmelzen mit dem Untergrund. Manchmal betonen die Farben die räumliche und die Schattenwirkung der vielen Vor- und Rücksprünge der Architektur, stellenweise wirken sie wie ein Farbteppich auf der Wand.

Victoria Coeln

Diese Effekte stammen von der 1962 geborenen Lichtkünstlerin/Visualistin Victoria Coeln, die seit einigen Jahren Architektur und öffentliche Räume mit Lichträumen, sogenannten Chromotopen überlagert und verändert. Sie behandelt Licht wie Farbe und „malt“ damit auf Architektur. Sie macht dadurch nicht nur Räume neu sichtbar, sondern schafft auch eine andere Art der Wahrnehmung von Räumen. Am und im Stephansdom gestaltet Victoria Coeln heuer das zweite Jahr die Lichtinstallation Chromotop St. Stephan für die „Lange Nacht der Kirchen“, zu sehen tagsüber und abends bis einschließlich 13. Juni. Eröffnet wird am 12. Mai 2012 um 20 Uhr mit einer Soundinstallation und Visuals von LIA und Victoria Coeln.
architektur besuchte sie in ihrem Atelier und sprach mit ihr über Licht, Raum und ihre Arbeit.

Frau Coeln, Sie sind Visualistin, was ist das?

Visualist ist eigentlich ein nicht eindeutiger Begriff, weil er sehr viel abdeckt. Gerade in der Architektur sind Visualisten diejenigen, die Entwurfszeichnungen in 3D übersetzen und zeigen, wie das im Alltag, mit Sonnenlicht und so weiter aussehen könnte. In der Musikszene etabliert sich der Begriff dahingehend, dass Bilder neue Interpretationen schaffen. Das mache ich auch mit dem Licht, mit dem Chromotop und dem architektonischen Raum.

Was verstehen Sie unter dem Begriff Chromotop?

Chromotope oder Lichträume sind aus mehreren übereinander gelegten Lichtschichten gebaut. Sie schaffen visuelle Situationen, die in der Wahrnehmung an feine Lasuren in der klassischen Ölmalerei erinnern. In Verbindung mit materiellen Flächen und Objekten wird der Lichtraum, oder vielmehr sein Abbild, sichtbar. Lichtfarben „haften“ auf jedem „Untergrund“ und greifen dabei nicht in seine materielle Beschaffenheit ein.

Wie wird man Visualist?

Es gibt mehrere Zugänge: Entweder man kommt aus der Clubszene – dann ist es wirklich die VJ-(Visual Jockey-)Arbeit. Im Gegensatz zum DJ (Disk Jockey). In der klassischen Musikszene gibt es den Begriffden Begriff noch nicht wirklich. Hier etablieren sich gerade die ersten Pionierprojekte. Ich habe schon einiges in Amerika, aber auch in Europa, Dortmund zum Beispiel gemacht. Das sind dann sehr spezielle neue Möglichkeiten, bei denen das klassische Konzert über das Bild erweitert wird.

 

Victoria Coeln

Sie haben auch parallel zu Ihrem Bühnenbildstudium Mathematik studiert. Wie verbinden Sie das Kreative des Bühnenbildes, das „Sphärische“ des raumschaffenden Lichtes mit der strikten Welt der mathematischen Zahlen?

Für mich ist das alles dasselbe, Mathematik ist ja nicht nur die Zahlenwelt. Mathematik ist eigentlich Zusammenhänge sehen, erweitern, neue Erkenntnisse zusammenführen, ein philosophisches Erweitern.

Mathematik, Philosophie oder Kunst, sind diese Gebiete für Sie nahe zusammen?

Ja! Grundsätzlich ist es so, wenn ich in der Mathematik oder Kunst weiterkommen möchte, ein neues Ergebnis finden möchte, dann gibt es diesen kreativen Sprung. Danach geht man dann den normalen Weg weiter. Am besten von drei Seiten, damit alles genau beweisbar und nachprüfbar ist. Das Erkennen ist aber woanders angesiedelt.

Wie ist denn die Verbindung zwischen Licht, Mathematik und Raum?

Die Verbindung schafft dasselbe räumliche Denken. Je räumlicher man denken kann, desto besser ist es für die Mathematik. Man baut mehrdimensionale Räume auf, denkt in Raumstrukturen und bewegt sich darin auch geistig. Wenn ich jetzt meine Lichträume baue, brauche ich ja das „unsichtbare denken“ so wie in der Mathematik auch. Ich könnte in dieser Form nicht mit Licht arbeiten, wenn ich nicht das mathematische Grunddenken hätte.

Ist es für Sie das Gleiche, ob Sie eine Fabrik beleuchten oder ob Sie den Stephansdom innen beleuchten?

Das ist eine gute Frage. Prinzipiell ist es dasselbe, denn ich baue ja zuerst den Lichtraum und überschneide ihn dann mit dem realen Raum. Der Lichtraum wird für sich selbst gedacht.

 

Victoria Coeln

Der sakrale Raum hat doch eine andere – eine zusätzliche – Dimension, als eine Fabrik sie hat. Hier schwingt doch – speziell im Stephansdom – noch eine andere „Präsenz“ mit. Wie gehen Sie damit im Zusammenhang mit dem Licht um?

Prinzipiell schwingt ja diese andere „Präsenz“ vor allem dann im Stephansdom mit, wenn der Dom geschlossen wird und die Touristen nicht mehr da sind. Aber auch bei einer Messe entsteht dieser Gleichklang besonders stark, da dringt er ja bis in unsere Atomkerne hinein. Das kennen wir ja auch aus der Musik, aus Konzerten.

Und wie sind Sie an das Projekt herangegangen? Was haben Sie für ein Gefühl gehabt, als Sie zum ersten Mal im Dom gestanden sind?

Als ich zum ersten Mal – mit dem Wissen, dass ich das Projekt machen werde – im Dom gestanden bin, habe ich zuerst alle Lichter abschalten lassen. Das war um 22 Uhr am Abend. Ich wollte den puren Raum spüren, ihn wahrnehmen.

 

Victoria Coeln

Kann man sagen, dass für Sie in Ihren Projekten sowohl das Licht als auch der Schatten eine Rolle spielen?

Auf jeden Fall.

Der Negativraum und der Positivraum also? Als These und Antithese?

Ja, wobei der schwarze, nichtbeleuchtete Raum wiederum ganz anders funktioniert.

Da taucht wahrscheinlich ein imaginärer Raum im Geist, in der Vorstellung auf?

Ja, er hat auch ganz andere Distanzen, diese verändern sich komplett. Nicht nur über das Ohr, das plötzlich aufmerksamer wird. Man nimmt den Dom, den Raum akustisch wahr. Dadurch diffundieren teilweise die Mauern.

Sie kennen sicherlich das Höhlengleichnis von Platon und die antiken Theorien der Sehstrahlen bis zu Demokrit. Er sprach von den sich von den Gegenständen ablösenden Bildern, die durch das Auge hineinwandern und in der Seele mit der Erinnerung ihr „Erkennen“ finden?

Ja, im Dunkeln oder wenn ich die Augen geschlossen habe, entsteht aus meiner Erinnerung ein Bild des Domes, das sich in den Vordergrund schiebt. Es ist allerdings ein abstrakterer Raum, Raum hat ja nicht immer nur konkrete Wände. Ich würde dieses Bild durchaus als Vision bezeichnen. Ich denke dabei auch in die Zukunft.

 

Victoria Coeln

Sakrale Räume bedürfen sicher auch einer gewisser Ehrfurcht, um damit zu hantieren?

Ja, die Ehrfurcht ist natürlich da, und es gilt auch, sie immer wieder etwas zu brechen.

Warum?

Besser wäre „herunterzubrechen“: Um nicht in Ehrfurcht zu erstarren, um handlungsfähig zu bleiben. Es ist manchmal notwendig, die Ehrfurcht so zu verkleinern, damit man dann wieder weiterarbeiten kann. Der Dom ist wirklich sehr speziell und sehr groß. Ich dachte anfangs, meine künstlerische Kraft würde dafür nie und nimmer reichen …
Dieser Ort war und ist immer noch eine ganz besondere Herausforderung.
Es gibt im Dom ja so viele Spuren, Geschichten, Schicksale von anderen Menschen, die da geschnitzt und gearbeitet haben. Da stehen so viele Zeichen von Menschen, Menschen, die sich sehr intensiv mit dem Leben aber auch mit Leid beschäftigt haben, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Das schwingt alle in diesem Raum mit.

Würden Sie sagen, dass die Zeit in diesem Raum spürbar wird? Eine Zeittiefe?

Absolut! Wenn ich eine gewisse Zeit im Raum bin, fange ich ja an, geistig Spuren in den Raum zu legen. Wenn jemand, also ein Körper, den Raum betritt, entstehen in meiner Vorstellung Linien auf dem Boden, ein zweidimensionaler Gitterraster. Wenn diese Person nun mit Blicken den Raum abtastet, entsteht ein weiteres dreidimensionales Gewebe im Raum. Ich sehe das als weiße Linien, die mir den Raum aufspannen. Wenn ich mir weiter vorstelle, dass diese Person währenddessen in Vergangenheit und Zukunft denkt, entsteht durch diese Zeitlinien eine immens dichte, zumindest vierdimensionale Matrix, die den Raum füllt, ihn erweitert und durch ihn diffundiert.
Das ist ähnlich wie das Licht meiner Chromotope – etwas, das dem Raum, der Architektur eine andere Dimension verleiht.

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Kategorie: Architekturszene