Ein Baumhaus als urbaner Wohnraum – 25 Verde

28. August 2019 Mehr

25 Verde / Turin, Italien / Luciano Pia

Nicht immer muss ein Baumhaus im Wald stehen. Architekt Luciano Pia zeigt mit seinem 2012/2013 realisierten Projekt „25 Verde“, dass es auch als urbane Wohnform infrage kommt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Ein gekonntes Zusammenspiel aus hölzernem Fundament und Bäumen bietet den Bewohnern hier eine hohe Lebensqualität.

 

25 Verde Turin Italien

Das Projekt „25 Verde“ von Luciano Pia in Turin schafft es, die Vorteile von Stadt und Land zu verbinden. Als urbane Wohnform wertet es mit seiner Fassaden- und Dachbegrünung das ehemalige Industrieviertel auf. Gleichzeitig verbessern die bis zu acht Meter hohen Bäume das Mikroklima im Gebäude und im Stadtteil.

 

Auf den ersten Blick wirkt das Objekt, das mitten im Industrieviertel von Turin steht, experimentell. Denn das moderne Wohnhaus mit fünf Stockwerken besteht fast vollständig aus Holz und beheimatet obendrein 150 Bäume an seiner Fassade. Platziert sind sie in stabilen, großen Töpfen auf den Balkonen und am Gerüst des Baus. Damit steht dieser in einem klaren Kontrast zum Umfeld. Das graue Stadtviertel – früher die Heimat der Arbeiterschicht Turins – beinhaltet neben monotonen Wohnblöcken die Fiat-Werke und verlassene Fabrikshallen. Aus der fantasielosen Ansammlung von Industriehäusern sticht das Baumhaus hervor. Architekt Pia sah es vor diesem Hintergrund als eine Herausforderung an, ein Wohnhaus zu errichten, in dem sich die Bewohner, abgesehen von dessen Standort, wohlfühlen.

Mit einem richtigen Baumhaus hat das Projekt tatsächlich wenig gemeinsam – dafür ist es zu raffiniert. Denn der Planer berücksichtigte beim Entwurf nicht nur umwelttechnische Aspekte. Das Haus wurde auch im Hinblick auf die Lebensqualität und ein harmonisches Zusammenspiel mit dem bebauten Umfeld entworfen. Mit seinem fantasievollen Design sticht es zwar aus der Masse hervor, wirkt aber keinesfalls fehl am Platz.

Ein lebendiger Bau
Das Gebäude setzt sich aus 63 Wohnungen zusammen. Alle Wohneinheiten sind entweder mit einem großen Balkon oder einer Dachterrasse ausgestattet. Bei einer Brutto-Grundfläche von 7.500 Quadratmetern verfügt der Bau zusätzlich über einen Innenhof mit 1.500 Quadratmetern sowie einen Dachgarten mit 1.200 Quadratmetern. Das Projekt fördert nicht nur ein gutes Stadtklima, sondern hat auch einen optischen Nutzen. Mit seinem einzigartigen, harmonischen Aussehen wertet es das Ortsbild Turins auf und mit seiner unverkennbaren Fassade ist es für den Stadtteil identitätsstiftend. Die gesichtslosen Straßen lockert der Bau mit seinen verspielten Terrassen auf. Die mit Lärchenholz verkleidete Fassade bildet einen Kontrast zur umliegenden Bebauung und wirkt fast wie eine Architektur der Übertreibung. Von Pia ist dieses Image durchaus gewollt. Als praktisch erweist sich in diesem Kontext, dass das Gebäude und dessen Vegetation einem steten Wandel unterworfen sind. Die Bäume wachsen, verändern sich und lassen die Bewohner am natürlichen Zyklus der Jahreszeiten teilhaben. Die Konstante ist hier die Veränderung, welche den Bau belebt und ihn zu einem bemerkenswerten Naturschauspiel macht. Damit bereichert das Baumhaus nicht nur seine Residenten, sondern auch sein Umfeld.

Das Objekt ist nicht nur schön anzusehen, sondern auch stabil. Gestützt wird das Konstrukt mit seinen fünf Stockwerken durch eine Struktur aus Stahl. Um den natürlichen Eindruck zu verstärken, sind die Stahlträger in Baum-Optik gehalten. Um mit seinem Bau einen guten energetischen Wirkungsgrad zu erreichen, versah der Architekt das Haus mit einer äußeren Isolationsschicht, belüfteten Wänden und Heiz- und Kühlsystemen, die mit Grundwasser betrieben werden. Die Grünanlagen werden durch wiederverwendetes Regenwasser bewässert. Mit diesen Maßnahmen erreichte er bei seinem Baumhaus eine hohe Energieersparnis.

Derzeit gilt das urbane Baumhaus als Luxusimmobilie. Zu erkennen ist dies vor allem am Preis. Ein Appartement mit 110 Quadratmetern wird derzeit um rund 600.000 Euro angeboten. In die Rubrik sozialer Wohnbau fällt dieses Projekt damit sicherlich nicht. Dafür sind auch die Erhaltungskosten zu hoch. Trotzdem ist es ein wichtiges Beispiel für grüne Architektur im urbanen Raum. Es zeigt auf, wie sich nachhaltiges Bauen auch in dicht besiedelten Gebieten realisieren lässt.

 

25 Verde Turin Italien

 

Mitten in der Stadt – mitten in der Natur
„25 Verde“ schafft es, eine natürliche Brücke zwischen Mensch, Stadt und Natur zu schlagen. Das Zukunftsmodell des nachhaltigen Wohnens vereint gekonnt die Vorteile des urbanen und des ländlichen Umfelds. Die Vegetation an der Fassade nimmt in der Stunde fast 200.000 Liter Kohlendioxid auf und verbessert dadurch das Klima. Schädliche Giftstoffe, die durch Autos in die Luft gelangen, werden durch die Bäume absorbiert. Sie regulieren auch die Temperatur in den Wohnräumen. Im Innenhof des Baus wurden ebenfalls 50 Bäume gepflanzt. Dort fungieren Sie als Klimaanlage und schaffen ein gesundes Mikroklima. Die Bepflanzung erreicht eine Höhe zwischen 2,5 und 8 Metern. Die Auswahl der Pflanzenarten erfolgte bewusst – der Planer setzte auf eine ausgewogene Mischung aus verschiedenen Farben, Blüten und Blättern. Und das Potpourri ist geglückt. Das Bauwerk strahlt eine natürliche Atmosphäre aus und wirkt spannend.
Durch die dicht begrünte Fassade sind die Wohnungen vor dem Außenlärm geschützt. Die Bepflanzung wirkt zwischen den Wohnräumen und der Straße wie ein Puffer und sichert dadurch die Lebensqualität der Bewohner. Auch schirmt sie intensive Sonnen­einstrahlung ab. Verlieren die Bäume im Winter ihre Blätter, wird der natürliche Sonnenschutz lichtdurchlässig, sodass in der kalten Jahreszeit Licht in die Wohnungen fällt.

Die echte Wildnis können Projekte wie „25 Verde“ natürlich niemals ersetzen. Das wollen sie auch gar nicht – begrünte Bauten können aber durchaus die Grenze des vorherrschenden Stadtbilds versetzen und ein neues Bild des urbanen Raums vermitteln. Bisher wurden Wildnis und Zivilisation als Gegensätze angesehen – also zwei Faktoren, die sich gegenseitig ausschließen. Diese Definition gilt es, neu zu überdenken. Die aktuelle Entwicklung zeigt, dass Stadt ohne Natur nicht funktioniert. Ohne intakte Ökosysteme gibt es weder saubere Luft noch frisches Wasser. Die heutige Avantgarde der Baukunst nähert Mensch und Natur einander an.

Architektur führt Mensch und Natur zusammen
Auch „25 Verde“ ist ein Beispiel für eine ausgewogene Mischung aus Natur und Urbanität. Die Menschen haben die Natur damit vor ihrer Haustüre und müssen nicht erst aufs Land flüchten, um sich im Grünen zu erholen. Das moderne Baumhaus hat damit nicht nur als Lebens-, sondern auch als Erholungsraum seinen Reiz. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Wohnform langfristig durchsetzt. In Turin sorgt sie jedenfalls für Zufriedenheit.

Italien ist für urbane Experimente offen. 2012 fasste die grüne Architektur mit Luciano Pias Projekt in Turin Fuß. Nur zwei Jahre darauf erfolgte in Mailand die Realisierung des Projekts „Bosco Verticale“. Dass ein innovatives Projekt nicht nur den Bewohnern der Immobilie, sondern gleich der ganzen Stadt zugutekommt, lässt sich an beiden Beispielen beobachten: Die begrünten Hoch- und Wohnhäuser gelten als Sensation und locken jedes Jahr viele Touristen an.

 

 

Condomino 25 Verde
Italien, Turin

Bauherr: GRUPPO CORAZZA, MAINA COSTRUZIONI, DE-GA S.p.A.
Planung: Luciano Pia
Statik: Giovanni Vercelli

Grundstücksfläche: 9000 m²
Bebaute Fläche: 7500 m²
Planungsbeginn: 2007
Bauzeit: 6 Jahre
Fertigstellung: 2013
Baukosten: 22 Millionen Euro

 

25 Verde

25 Verde

25 Verde

 

25 Verde

 

Fotos:©Beppe Giardino

Text:©Dolores Stuttner

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Kategorie: Projekte