Pulverturm in Bruneck

14. März 2016 Mehr

Abdrücke der Zeit.
Corpus Intra Muros / Bruneck / Architekt Stefan Hitthaler
Bei dem Begriffspaar ‚Architektur und Kunst‘ geht es nicht um die Frage, ob Architektur zur Kunst oder die Kunst zur Architektur gehört. Schon Vitruv sprach von Architektur als der „Mutter aller Künste“, womit sowohl die zeitliche Abfolge als auch die rangmäßige Einstufung der Architektur gegenüber Bildhauerei und Malerei gemeint sein kann. Architekt Stefan Hitthaler (Bruneck) und der Erziehungswissenschaftler Dr. Ulrich Leitner (Universität Innsbruck) wagten mit dem Kunst- und Wissenschaftsprojekt Corpus Intra Muros einen Blick über die manchmal engen Grenzen dieser beiden Disziplinen. Die Schnittstellen und Berührungspunkte werden bei ihrer Arbeit am Pulverturm in Bruneck im Südtiroler Pustertal aufgezeigt. Dazu wurde das historische Gebäude aus dem 15. Jahrhundert mit einer Kunstinstallation ummantelt.

Corpus Intra Muros

Der gegenständliche Turm ist eigentlich eine Utopie, ein Nicht-Ort, denn anders als viele historische Gebäude besitzt dieser Turm keine eigene Identität, keine überlieferte Geschichte, nur viele Erzählungen, die sich um ihn ranken. Er wird zwar als Baudenkmal betrachtet, über seinen Zweck, seine Entstehung und den Inhalt sind aber so gut wie keine Tatsachen bekannt. Ganz ähnlich, den im START besprochenen künstlerischen Intentionen von Sir Antony Gormley wurde auch in Bruneck versucht, eine erzählerische Realität zu schaffen. Sie soll die Menschen zum Nachdenken anregen.

Corpus Intra Muros
Um nun eine Beziehung, eine Lesbarkeit der Architektur für die Menschen und auch eine Auseinandersetzung mit der Zeit zu bewirken, hat das Team aus Architekt und Erziehungswissenschaftler den Turm mit einer Hülle in Form einer dreiseitigen Schachtel versehen. Eine Tragkonstruktion bildet eine U-Form über dem ca. sechs mal sechs Meter großen quadratischen Turmgrundriss. Auch in der Höhe überragt die monumentale Konstruktion den Turm um drei bis vier Meter. Die Außenseiten sind mit rostigen Metallplatten bedeckt, an der Innenseite ist ein fotografisch bedrucktes Gewebe verspannt. Darauf kann man unbekleidete, menschliche Körper erkennen, sie bewegen sich in einem (endlosen) dunklen Raum. Vom Duktus der Komposition denkt man unwillkürlich an barocke Gemälde, an Kirchenfresken vielleicht? Zwischen den Innenwänden dieser ‚Schachtel‘, den ‚Wänden‘ und dem alten Turm spielt sich nun ein Prozess ab. Er wird durch die großformatigen Abbildungen von menschlichen Gestalten ausgelöst. Denn Körper drücken ihre ‚Aura‘ auch im Raum und auf Wänden ab, Hüllflächen speichern ihre Präsenz. Die menschlichen Körper, die auf der Installation zu sehen sind, stehen für die vielfältigen Beziehungen, die Menschen mit den Gebäuden, in denen sie leben und die sie umgeben, eingehen. Die Bilder machen die Spuren der Menschen sichtbar, die diese über die Jahrhunderte in der Architektur hinterlassen haben. Es entwickelt sich ein Zwiegespräch mit den heutigen BetrachterInnen über die Zeiten hinweg. Die architektonische Konstruktion, welche den Turm umhüllt, lässt durch die großformatigen menschlichen Figuren die Grenze zwischen Realität und Fiktion ins Erzählerische verschwinden.

Das hat auch einen pädagogischen und identitätsstiftenden Sinn. Der Turm wird zum Medium einer Auseinandersetzung mit der Beziehung zwischen Mensch, Mauer, Stadt, Zeit und Raum. Und das ist ein zweiter, weiterer ‚Zweck‘ der Installation. Einmal lässt eine architektonische Konstruktion menschliche Körper, in fotografischen Darstellungen festgehalten und großformatig aufgebracht auf einem Trägermaterial, mit dem Turm verschmelzen. Daneben begibt man sich in einer wissenschaftlichen Spurensuche auf die Fährte von Körpern, Dingen und ihren Spuren in den Räumen. So betrachtet lässt sich der Stadtraum als eine Topografie unsichtbarer Schichten, welche die Menschen darin hinterlassen und hinterlassen haben, lesen. Mauern haben Einfluss auf die Menschen, die in ihnen ihre Lebenszeit verbringen. Mauerwerk überdauert oft Jahrhunderte, wird in ein und derselben Funktion genutzt oder es ändert seine Form und seine Bedeutung. Gebäude gestalten alle Lebensbereiche, sind beispielsweise Stätten des Handels, der Wirtschaft, der Kultur, des Glaubens, der Gastlichkeit, der Erziehung und Bildung, der Gemeinschaft insgesamt. In den Mauern werden politische Entscheidungen getroffen, die Geschicke der Stadt gelenkt und nicht selten wird in ihnen über das Schicksal der gesamten Bevölkerung entschieden.
Ziel des Projektes zwischen Kunst, Architektur und Geschichte war es auch, nach der Bedeutung städtebaulicher Entwicklung zu fragen. Woran ließe sich das in Bruneck besser demonstrieren als an einem Turm, den die Stadt als Symbol in ihrem Wappen trägt?

Corpus Intra Muros
Bruneck, Italien

Antragsteller
Hotel Post OHG
Eduard von Grebmer + Co

Planung
Arch. Stefan Hitthaler
Dr. Ulrich Leitner

Mitarbeiter
Th. Niederwolfsgruber
Davide Mantesso

Statik
Ing. Erwin Trojer

Bebaute Fläche
153,36 m2

Nutzfläche
88,03 m2

Planungsbeginn
10/2013

Bauzeit
2 Monate

Fertigstellung
2014

Baukosten
100% gesponsert

 

Fotos: ©Christof Theurer, Wisthaler Harald
Text: Peter Reischer

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Kategorie: Magazin, Projekte